Abstract
Zusammenfassung
Als Reaktion auf den Strukturwandel in der Fischerei der Nord- und Ostsee haben die Thünen-Institute für Ostseefischerei und Seefischerei die „Zukunftswerkstatt Küstenfischerei 2045“ initiiert. Die Thünen-Zukunftswerkstatt ist eine partizipative Szenariotechnik zur Erarbeitung von wünschenswerten Zielbildern. Ein transdisziplinäres Gremium aus Expert:innen in Führungspositionen verschiedener Fachrichtungen und mariner Organisationen hat in mehreren konsekutiven Sitzungen Zielbilder für die Nutzung der deutschen Meere und Küsten für das Jahr 2045 entwickelt. Das entworfene Zielbild für die Nordsee zeichnet sich durch eine intensive Multi-Nutzung des Meeresraumes aus. Dominiert wird das Zielbild vom Ausbau der Offshore-Windkraft und Naturschutzgebieten, welche zunächst mit einer Einschränkung der Fischereiaktivitäten einhergehen. Nach einer befristeten Übergangsphase der ökologischen Regeneration werden nahezu alle marinen Räume im Jahr 2045 wieder durch eine moderne Fischerei genutzt. In der Ostsee dominieren im Zielbild für 2045 getrennte Nutzungsräume. Marine Gebiete werden weniger gemeinsam, sondern nebeneinander stehend in Co-Existenz genutzt. Die Küstenfischerei findet überwiegend in festgelegten Revieren statt. Die Ostseeküste 2045 ist vor allem vom Tourismus, der Freizeitfischerei und Naturschutzräumen geprägt. Den Zielbildern für Nord- und Ostsee ist gemein, dass sie den guten Zustand der marinen Ökosysteme und stabile Fischbestände anvisieren. In beiden Zielbildern ist für die Zukunft der Berufsfischerei eine Reform des Fischereimanagements und des Berufsbildes vorgesehen. Letzteres ist Folge einer Diversifikation der Fischereiunternehmen. Die hier vorgestellten Zielbilder sind als erste, vorläufige Ergebnisse zu werten. Mit ihrer Veröffentlichung bilden die vorläufigen Zielbilder frühzeitig einen sozialwissenschaftlich Ausgangspunkt für die politische Debatte um die Zukunft der deutschen Küstenfischerei.
Fazit für die Fischereipraxis
Entscheidend für eine Zukunft der Berufsfischerei in deutschen Küstenmeeren ist die politische Klärung der Frage, wie wir als Gesellschaft den marinen Raum nutzen wollen. Ausschließende Mononutzungen scheinen in Anbetracht der vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen an die Nord- und Ostsee u.a. als ökologischer Schutzraum, Energiequelle, Schifffahrtsweg, Erholungsgebiet und Herkunftsort von Nahrungsmitteln keine Option. Die Politik der EU, des Bundes und der Bundesländer sollte die rechtlichen Voraussetzungen für einen Transformationsprozess schaffen, der sich die Vereinbarkeit unterschiedlicher Nutzungsansprüche zum Ziel setzt. Dies gilt insbesondere, wenn eine Langfristperspektive für die Fischerei geschaffen werden soll. Ansatzpunkte freizügigerer Nutzungsregime für eine Vereinbarkeit von Windenergie und Fischerei können beispielsweise bei den europäischen Nachbarn Dänemark oder Großbritannien gefunden werden. Für eine Flexibilisierung fischwirtschaftlicher Unternehmungen gilt es zudem, das aktuelle Fischereimanagement anzupassen, auch um die betriebswirtschaftliche Planungssicherheit für Berufsfischer zu erhöhen. Zentral kann dabei die Auslegung des Artikels 17 der Gemeinsamen Fischereipolitik EU (VO) 1380/2013 sein. Er lässt bereits heute eine Vergabe von Fischereiberechtigungen nach sozialen, ökonomischen und umweltverträglichen Kriterien und damit eine Abkehr von einem zunehmend als starr empfundenen historisch begründeten Verteilungsschlüssel der Quoten auf nationalstaatlicher Ebene zu. Für die Finanzierung eines langfristigen Transformationsprozesses bietet die Novellierung des Gesetzes zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (WindSeeG) neue Möglichkeiten.